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RAHMENVEREINBARUNG NRW

der Landschaftsverbände und kommunalen Spitzenverbände über die Leistungen der Eingliederungshilfe und der Sozialhilfe
zwischen dem Landschaftsverband Westfalen-Lippe - vertreten durch den Direktor des Landschaftsverbandes -48133 Münster,
dem Landschaftsverband Rheinland - vertreten durch die Direktorin des Landschaftsverbandes - 50679 Köln
und dem Landkreistag NRW - vertreten durch den Hauptgeschäftsführer - 40213 Düsseldorf,
dem Städtetag NRW - vertreten durch das geschäftsführende Vorstandsmitglied - 50670 Köln,
dem Städte- und Gemeindebund NRW - vertreten durch den Hauptgeschäftsführer - 40474 Düsseldorf
- nachstehend insgesamt Vereinbarungspartner genannt -
nach Beteiligung der Verbände der Menschen mit Behinderungen auf Landesebene und der
Spitzenverbände der Leistungserbringer.

A. Präambel
B. Allgemeiner Teil

1. Vereinbarungsgegenstand und -inhalte
2. Vereinbarungsziele
3. Gemeinsame Weiterentwicklungsverantwortung
4. Zusammenarbeit und lokale Steuerungs- und Planungsgremien
5. Abschluss von Kooperationsvereinbarungen
6. Inklusiver Sozialraum
7. Kostenentwicklung
C. Besonderer Teil
I. Leistungen für volljährige Leistungsberechtigte
8. Leistungen zur Sozialen Teilhabe
9. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
10. Leistungen der Hilfe zur Pflege
11. Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 bis 69 SGB XII
12. Nachgehender Schutz der Einrichtungsorte
II. Leistungen für Kinder und Jugendliche
13. Leistungen zur Sozialen Teilhabe
14. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
15. Leistungen zur Teilhabe an Bildung
16. Leistungen der Hilfe zur Pflege
17. Bedarfsermittlung
D. Schlussbestimmungen
18. Verfahren zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung
19. Inkrafttreten

A.
Präambel
Die Vereinbarungspartner arbeiten bereits seit 2003 eng und vertrauensvoll zusammen, um die Ziele des Landesgesetzgebers zur Entwicklung der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen und der Hilfe für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten zu erreichen. Sie haben ihre Zusammenarbeit durch Rahmenvereinbarungen zum 01.01.2004 und vom 16.12.2009 geregelt.
Mit dem Gesetz zur Umsetzung der UN-BRK und dem BTHG hat der Bundesgesetzgeber
weitergehende Ziele für die Entwicklung der Leistungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) vorgegeben. Der Landesgesetzgeber hat die Aufgaben der Leistungsträger neu geordnet und die Regelungen zur Kooperation im Landesausführungsgesetz zum Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (AG-SGB IX) und zum Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (AG-SGB XII) neu gefasst. Damit ist die Bedeutung einer engen Kooperation der Träger der Eingliederungshilfe und der Träger der Sozialhilfe nochmals gestiegen.
Nach dem ab 1. Januar 2020 geltenden § 94 Absatz 4 SGB IX bildet jedes Land eine Arbeitsgemeinschaft zur Förderung und Weiterentwicklung der Strukturen der Eingliederungshilfe. § 6 AG-SGB IX setzt diesen gesetzlichen Auftrag um. Nach § 4 SGB XII i.V.m. § 2a Abs. 2 des AG-SGB XII arbeiten die überörtlichen Sozialhilfeträger mit den örtlichen Trägern der Sozialhilfe und mit anderen Stellen, deren gesetzliche Aufgaben dem gleichen Ziel dienen oder die an Leistungen beteiligt sind oder beteiligt werden sollen, zusammen. Zur Sicherung einer gleichmäßigen, gemeinsamen oder ergänzenden Leistungserbringung sind Arbeitsgemeinschaften zu bilden.
Neben der Zusammenarbeit in den Arbeitsgemeinschaften haben die Landschaftsverbände und die Kreise und kreisfreien Städte gemäß § 5 AG-SGB IX als Träger der Eingliederungshilfe und gemäß § 8 AG-SGB XII als Träger der Sozialhilfe den gesetzlichen Auftrag, Kooperationsvereinbarungen miteinander abzuschließen. Diese dienen der Zusammenarbeit und Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und der Sozialhilfe in Nordrhein-Westfalen. Die Schaffung inklusiver Lebensverhältnisse bleibt eine Herausforderung für alle öffentlichen Stellen und die gesamte Gesellschaft. Sie können allein durch die Vertragspartner nicht erreicht werden. Die Vereinbarungspartner sehen sich aber in der Pflicht, im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben und Pflichten und im Rahmen der zur Verfügung stehenden Ressourcen das Ziel effektiv und effizient anzustreben.
Gemäß § 5 AG-SGB IX arbeiten die Landschaftsverbände, die Kreise und kreisfreien Städte sowie die kreisangehörigen Gemeinden mit dem Ziel zusammen, inklusive Sozialräume zu entwickeln, um inklusive Lebensverhältnisse zu fördern und zu stärken. Nach § 8 AG-SGB XII wirken sie gemeinsam darauf hin, dass die Leistungen sozialräumlich ausgerichtet sind. Dazu haben die Landschaftsverbände und Kreise und kreisfreie Städte Kooperationsvereinbarungen abzuschließen, in denen verbindlich lokale Steuerungs- und Planungsgremien vereinbart werden.
In den Kooperationsvereinbarungen ist auch zu regeln, wie die kreisangehörigen Gemeinden, die örtlichen Anbieter und die örtlichen Vertreter der Menschen mit Behinderungen in den Steuerungs- und Planungsprozess eingebunden werden.
Gemäß § 2 AG-SGB IX i.V.m. § 99 SGB XII können die Landschaftsverbände als Träger der Eingliederungshilfe oder als überörtlicher Träger der Sozialhilfe zur Sicherstellung eines effektiven und effizienten Verwaltungsvollzugs und zur Sicherstellung der Lebensverhältnisse und einheitlicher Leistungen Kreise, kreisfreie Städte und kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung der ihnen obliegenden Aufgaben durch Satzung heranziehen. Gegenstand dieser Rahmenvereinbarung ist auch die Zusammenarbeit und Abstimmung bei herangezogenen Aufgaben. Zweck dieser Vereinbarung ist es, Regelungen für das enge Zusammenwirken der Vereinbarungspartner zu schaffen und so einen wesentlichen Beitrag zu einem inklusiven Sozialraum in NRW zu leisten. Die Rahmenvereinbarung dient der Orientierung der Kooperationspartner und soll der durch das Bundesteilhabegesetz (BTHG) und das Landesausführungsgesetz zur Umsetzung des BTHG (AG-BTHG NRW) geänderten Rechtslage Rechnung tragen. Sie definiert den Rahmen, innerhalb dessen die Zusammenarbeit der Kooperationspartner erfolgen soll, und dient der Verständigung darüber, was in den Kooperationsvereinbarungen nach dem SGB IX und SGB XII geregelt werden und nach welchen Leitgedanken die Gestaltung dieser Regelungen erfolgen sollte. Eine individuelle Gestaltung und Anpassung der zu schließenden Kooperationsvereinbarungen bleibt den Verhandlungen zwischen der jeweiligen Gebietskörperschaft und dem jeweiligen Landschaftsverband vorbehalten.
Vor Abschluss dieser Rahmenvereinbarung sind die Spitzenverbände der Leistungserbringer und die Landesverbände der Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen beteiligt worden. Soweit Aufgaben der Träger der öffentlichen Jugendhilfe betroffen sind, ist die Zusammenarbeit im Rahmen der örtlichen Kooperationsvereinbarungen zu regeln.

B.
Allgemeiner Teil
§ 1
Vereinbarungsgegenstand und -inhalte
(1) Vereinbarungsgegenstand sind Grundsätze für die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Kooperationsmodalitäten und -strukturen im Lichte der Gesetzesreformen ab 2020 in den Leistungsbereichen:
1. Leistungen zur Sozialen Teilhabe nach § 113 SGB IX
2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 111 SGB IX
3. Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach § 112 SGB IX
4. Leistungen zur Existenzsicherung nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII
5. Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem siebten Kapitel SGB XII
6. Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach dem achten Kapitel des SGB XII
(2) Die Vereinbarungsinhalte unterstützen die Landschaftsverbände, die Kreise und kreisfreien Städte bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags nach § 5 AG-SGB IX und § 8 AG-SGB XII, Kooperationsvereinbarungen abzuschließen. Diese dienen der Vereinbarung von lokalen Planungs- und Steuerungsgremien
1. zur Entwicklung inklusiver Lebensverhältnisse (§ 5 SGB IX),
2. zur Weiterentwicklung und Koordinierung der Leistungsinhalte und Leistungsstrukturen der Sozialhilfeträger (§ 8 AG-SGB XII).
§ 2
Vereinbarungsziele
(1) Die Vereinbarungspartner wirken darauf hin, dass die Leistungen für Menschen mit Behinderungen in ihrer Umsetzung und Ausgestaltung an den Zielen und Inhalten der UN-Behindertenrechtskonvention orientiert sind.
(2) Die Vereinbarungspartner verfolgen mit dieser Rahmenvereinbarung folgende Ziele:
1. Es sollen wohnortnahe Unterstützungsleistungen angeboten werden, um eine Inklusion der Menschen mit Behinderungen oder einer drohenden Behinderung und der Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten in ihrer Herkunftsumgebung zu erreichen.
2. Der Grundsatz der personenzentrierten Leistungserbringung soll umgesetzt werden. Die Leistungen sollen „wie aus einer Hand“ erbracht werden, ohne dass Schnittstellen zwischen den Leistungssystemen zu Leistungslücken oder Leistungsabbrüchen führen. Hierzu sind geeignete und praxisgerechte Verfahren zu vereinbaren.
3. Bisher angewandte Verfahren werden durch das neue verbindliche Gesamtplanverfahren im Hinblick auf die Zusammenarbeit der Leistungsträger und auf die Steuerungsmöglichkeiten der Träger der Eingliederungshilfe und Sozialhilfe weiterentwickelt und optimiert. Bei der Gesamtplanung steht der Mensch mit seinen individuellen Bedarfen im Vordergrund. Ziel ist die Sicherstellung bedarfsgerechter Leistungen, die die Leistungsberechtigten soweit wie möglich zur Selbsthilfe befähigen, ihnen bei der Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten helfen und ihnen die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen. Für die Verfahren der Gesamt- und Teilhabeplanung werden einheitliche Instrumente eingeführt, um die Leistungsansprüche nach den gleichen Kriterien zu bewerten. Die Bedarfsermittlungsinstrumente orientieren sich an der International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF). Das Bedarfsermittlungsinstrument BEI_NRW für volljährige Leistungsberechtigte und das BEI_NRW KiJu für Kinder und Jugendliche werden für Leistungen nach dem SGB IX landesweit, möglichst auch in den Kommunen, angewendet.
4. Der Nachrang der Eingliederungshilfe gem. § 91 Abs. 1 SGB IX und der Sozialhilfe gem. § 2 SGB XII ist auch im Gesamtplanverfahren gem. § 117 SGB IX weiterhin konsequent durchzusetzen. Leistungslücken und Leistungsabbrüche sollen vermieden werden.
5. Die vorhandenen örtlichen Leistungs- und Versorgungsangebote sind mit der Zielsetzung, den Menschen mit Behinderungen größtmögliche Selbstbestimmung zu ermöglichen, weiterzuentwickeln.
6. Die Planungsprozesse sollen verbessert und das örtliche Versorgungsangebot unter Berücksichtigung der schon bestehenden Unterstützungsleistungen/ -strukturen weiterentwickelt und – soweit erforderlich – auf einen Ausbau hingewirkt werden.
7. Auf eine nachhaltige Dämpfung der Ausgabendynamik ist hinzuwirken. Kosten- und Fallzahlsteigerungen sind regelmäßig in einem Berichtswesen zu erfassen und auf Ursachen und (Gegen-) Steuerungsmöglichkeiten hin zu untersuchen. Insbesondere durch eine Stärkung niedrigschwelliger Angebote und die Realisierung des Nachranggrundsatzes ist diesen entgegenzuwirken. Dieses Berichtswesen dient den lokalen Planungs- und Steuerungsgremien
als Planungsgrundlage.
§ 3
Gemeinsame Weiterentwicklungsverantwortung
(1) Die Weiterentwicklung der unter § 1 Abs. 1 genannten Leistungsbereiche und der Herstellung inklusiver Sozialräume ist ein gemeinsames Ziel der Kreise, kreisfreien Städte und der Landschaftsverbände, das den Beitrag aller Beteiligten erfordert. Je besser das Ziel inklusiver Lebensverhältnisse erreicht ist, desto weniger sind individuelle Leistungen erforderlich. Die kreisangehörigen Städte und Gemeinden werden in den Entwicklungsprozess einbezogen.
(2) Die Gemeinden, Städte und Kreise sind in ihrem Gebiet, soweit die Gesetze nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmen, ausschließliche und eigenverantwortliche Träger der öffentlichen Verwaltung. Sie setzen im Rahmen dieser Aufgabenwahrnehmung wesentliche Rahmenbedingungen für das Leben aller Einwohner fest. Die Träger der Eingliederungshilfe haben gemäß § 95 SGB IX den Auftrag sicherzustellen, dass die erforderliche Leistung erbracht wird, und haben hierzu Verträge mit Leistungsanbietern abzuschließen.
§ 4
Zusammenarbeit und lokale Steuerungs- und Planungsgremien
(1) Die Landschaftsverbände schließen mit den Kreisen und kreisfreien Städten Kooperationsvereinbarungen ab, in denen verbindlich die lokalen Steuerungs- und Planungsgremien vereinbartwerden. In den lokalen Steuerungs- und Planungsgremien werden Handlungsanforderungen und Entwicklungspotenziale gemeinsam erörtert und Lösungsansätze erarbeitet.
(2) Primäres Ziel der lokalen Steuerungs- und Planungsgremien ist die Weiterentwicklung und Planung der Leistungen der Eingliederungshilfe und Sozialhilfe unter Einbeziehung der Leistungserbringer der jeweiligen Region und der Verbände der Menschen mit Behinderungen.
(3) Die in den lokalen Steuerungs- und Planungsgremien zu behandelnden Themen werden zuvor zwischen den jeweiligen Leistungsträgern abgestimmt. Die lokalen Steuerungs- und Planungsgremien stellen eine geeignete Plattform für den Informations- und Wissenstransfer zwischen den Teilnehmenden dar. Durch diese wird eine trägerübergreifende Kommunikation bei vorhandenen Entwicklungspotenzialen und Veränderungsprozessen frühzeitig gewährleistet.
(4) Die sozialplanerische Konzeption inklusiver Sozialräume und sozialraumorientierter Leistungen ist miteinander abzustimmen. Dies umfasst auch den Bereich der sozialen Daseinsvorsorge.
(5) Die Beteiligten vereinbaren sich zur Leitung des Gremiums. In der Konferenz werden Handlungsnotwendigkeiten gemeinsam erörtert und abgestimmt. Das Gremium tagt mindestens einmal jährlich. Die Schaffung weiterer Gremien wird in den Kooperationsvereinbarungen geregelt.
(6) Die Grundsätze des Verfahrens sowie die Teilnahme der kreisangehörigen Gemeinden, der Leistungserbringer und der Verbände der Menschen mit Behinderungen werden in der Kooperationsvereinbarung geregelt.
§ 5
Abschluss von Kooperationsvereinbarungen
(1) Die Landschaftsverbände sowie die Kreise und kreisfreien Städte schließen bis zum 1. Januar 2020 für die SGB IX und SGB XII Kooperationsvereinbarungen ab. Diese Vereinbarungen sind unter Berücksichtigung von regionalen Ressourcen, Strukturen und Besonderheiten abzuschließen. Die kommunalen Spitzenverbände unterstützen diesen Prozess.
(2) Regelungsinhalte sollen insbesondere sein:
1. Lösungen von Schnittstellen durch konkrete Definition der Aufgaben der Leistungsträger und Konkretisierung der Zuständigkeitsbereiche unter Berücksichtigung der Weiterentwicklung inklusiver kommunaler Leistungs- und Versorgungsangebote
2. Gemeinsame Ziele in den einzelnen Leistungsbereichen
3. Verfahren zur Optimierung von Zusammenarbeit und Kooperation bei
a) den Sozialplanungen zur Ermittlung des örtlichen Bedarfs von Leistungsangeboten und Vorgehensweise bei vorhandenen Entwicklungs- und bei Erschließungspotenzialen von örtlichen
Leistungs- und Versorgungsangeboten im Lichte eines inklusiven Sozialraums
b) der Sicherstellung einer Vernetzung der Leistungsträger und der vorhandenen Leistungsangebote
c) der Gesamtplanung der personenzentrierten Leistungserbringung und Vorgehensweise zur Sicherstellung des Individualisierungs- und Bedarfsdeckungsprinzips
d) der Sicherstellung von trägerübergreifender Beratung
e) Aufgaben, zu denen gem. § 2 Abs. 1 AG-SGB IX herangezogen wurde
4. Vereinbarung von lokalen Steuerungs- und Planungsgremien und deren Aufgaben und Ziele
5. Eine geeignete Struktur zur Partizipation der örtlichen Verbände der Menschen mit Behinderungen und zur Einbindung der kreisangehörigen Gemeinden, der örtlichen Leistungserbringer in bestehende Leistungs- und Gremienstrukturen
6. Verfahren oder Gremien zur Klärung von Abgrenzungsfragen
§ 6
Inklusiver Sozialraum
(1) Die Landschaftsverbände, die Kreise und kreisfreien Städte und Gemeinden wirken weiterhin gemeinsam darauf hin, den Sozialraum inklusiv weiterzuentwickeln und damit auch Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Pflegebedarf und Menschen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten größtmögliche Teilhabe und Selbstbestimmung zu ermöglichen.
(2) Im Rahmen ihrer jeweiligen Finanzierungszuständigkeit wirken die Landschaftsverbände sowie die Kreise und kreisfreien Städte gemeinsam darauf hin, dass ausreichende Leistungen für eine nachhaltige und bedarfsorientierte soziale Infrastruktur (insbesondere Wohnraum, öffentlicher Personennahverkehr, Assistenzangebote, Fahrdienste und Freizeitangebote sowie in dem Bereich Teilhabe am Arbeitsleben) zur Verfügung stehen und dass eine bedarfsorientierte Koordinierung dieser Angebote erfolgt.
(3) Erforderliche Leistungen der Eingliederungshilfe bzw. der Hilfen für Personen mit besonderen sozialen Schwierigkeiten sind so weit wie möglich außerhalb von besonderen Wohnformen bzw. von Einrichtungen zu erbringen. Individuelle Bedarfe sind nur dann in besonderen Wohnformen oder stationären Einrichtungen für Menschen mit sozialen Schwierigkeiten zu decken, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles erforderlich ist oder sich der Mensch mit Behinderungen in Ausübung seines Wunsch- und Wahlrechts für die Bedarfsdeckung in dieser Wohnform entscheidet und dabei die Grenzen des § 104 SGB IX gewahrt bleiben.
(4) Zur Sicherung einer bedarfsgerechten Leistung im Einzelfall im Rahmen des örtlichen Leistungsangebotes wird von den zuständigen Eingliederungshilfeträgern bzw. Sozialhilfeträgern unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts einerseits und der jeweils entstehenden Aufwendungen andererseits über Form und Maß der Leistungen sowie die Organisation der Leistungserbringung auf Basis einer individuellen Gesamtplanung entschieden. Der Grundsatz der Trägerpluralität soll beachtet werden.
(5) Für die Leistungen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten werden die Verfahren zur Gesamtplanung weiterentwickelt.
§ 7
Kostenentwicklung
(1) Die Landschaftsverbände setzen die Berichterstattung zur Fallzahl- und Kostenentwicklung im Bereich der Leistungen zum Wohnen für erwachsene Menschen mit Behinderungen gegenüber dem MAGS und den kommunalen Spitzenverbänden fort, entsprechend der neuen BTHG-Systematik. Einzelheiten werden in der Arbeitsgemeinschaft nach § 6 des AG-SGB IX NRW vereinbart.
(2) Aus den Aufstellungen ergibt sich zumindest
1. die Gesamtzahl der leistungsberechtigten Personen getrennt nach eigener Wohnung oder besonderer Wohnform, differenziert nach Art der Behinderung, Geschlecht, Alterskohorten sowie nach tatsächlichem Aufenthaltsort und 2. der Gesamtaufwand für Leistungen der Eingliederungshilfe zum Wohnen für Menschen mit Behinderungen, aufgeteilt nach den in Nr. 1 genannten Leistungen differenziert nach tatsächlichem Aufenthaltsort.
(3) Die Vereinbarungspartner verständigen sich in Abstimmung mit der Arbeitsgemeinschaft gemäß § 94 Abs. 4 SGB IX über gegebenenfalls zusätzlich erforderliche Daten für eine Berichterstattung zu Fallzahl- und Kostenentwicklungen bei weiteren Teilhabeleistungen.
C.
Besonderer Teil
I.
Leistungen für volljährige Leistungsberechtigte
§ 8
Leistungen zur Sozialen Teilhabe
(1) Mit der personenzentrierten Ausrichtung der Eingliederungshilfe wächst die Bedeutung der sozialen Teilhabe. Die Vereinbarungspartner wirken darauf hin, dass auch nach der Systemumstellung in der Eingliederungshilfe die Menschen mit Behinderungen die notwendigen Leistungen erhalten, die sie für ein selbstbestimmtes Leben benötigen. Dies gilt insbesondere für Aufwendungen für die Unterkunft und Lebensunterhalt als auch für die Assistenzleistungen der Eingliederungshilfe.
(2) Es ist eine enge Kooperation und Koordination der Leistungen seitens der Träger der Eingliederungshilfe und der Leistungsträger für die existenzsichernden Leistungen erforderlich um zu vermeiden, dass sich die Trennung der beiden Leistungen nachteilig für die Betroffenen auswirkt, dass Leistungslücken entstehen oder unnötiger Verwaltungsaufwand erzeugt wird. Die Kooperationspartner stellen zum Thema Trennung der Leistungen sicher, dass das Antragsverfahren für Leistungsberechtigte und Leistungserbringer transparent ist. Zu diesem Zweck stellen sie Antragsformulare und ergänzende Informationen bereit.
(3) Bei den Leistungen zur Mobilität besteht zwischen den Vereinbarungspartnern Konsens darüber, dass diese erst dann zu gewähren sind, wenn bestehende Bedarfe durch die bereits vorhandenen Leistungsangebote im Rahmen der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht gedeckt werden können.
(4) Es ist in der Regel eine wohnortnahe Unterstützung zu gewährleisten unter Berücksichtigung des Sozialraums. Umzüge zu Lasten des Leistungsberechtigten sind möglichst auszuschließen. Es ist durch die Kooperationspartner sicherzustellen, dass ausreichende Angebote in jedem Landesteil vorhanden sind. Dies gilt insbesondere für Menschen mit Behinderungen mit herausforderndem pädagogischintensivem Unterstützungsbedarf.
(5) Eine Ausnahme soll dann gelten, wenn eine wohnortnahe Unterstützung der Erreichung der Ziele der Eingliederungshilfeleistungen entgegensteht.
§ 9
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben
(1) Die Vereinbarungspartner sind sich darüber einig, dass die Teilhabe am Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen eine essenzielle Säule eines selbstbestimmten Lebens ist. Vorrangiges Ziel ist daher die Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Vereinbarungspartner streben deshalb an, dass Menschen mit Behinderungen ihren Arbeitsplatz auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhalten oder dort einen Arbeitsplatz erlangen. Übergänge in den allgemeinen Arbeitsmarkt sollen weiterhin verstärkt durch das in NRW bereits etablierte und bewährte Budget für Arbeit ermöglicht werden.
(2) Für den Bereich der Teilhabe am Arbeitsleben hat das BTH mit den „Anderen Leistungsanbietern“ und dem „Budget ür Arbeit“ Alternativen zur Beschäftigung in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen geschaffen. Es besteht zwischen den Vereinbarungspartnern Einigkeit darüber, dass die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben von dem zuständigen Eingliederungshilfeträger im Hinblick auf inklusive Lebensverhältnisse weiterzuentwickeln sind. Die Kooperationsstrukturen zwischen Arbeitsverwaltung, Jobcentern, Inklusionsämtern und Trägern der Eingliederungshilfe sind weiterzuentwickeln. Hierzu treffen die Kooperationsvereinbarungen die erforderlichen Regelungen einschließlich der Regelungen zu den notwendigen lokalen Steuerungs- und Planungsgremien.
§ 10
Leistungen der Hilfe zur Pflege
Die Kooperationspartner wirken auf eine einvernehmliche Klärung der sachlichen Zuständigkeit bei Menschen mit Behinderungen und Pflegebedarf hin. Hierbei kann unter anderem auf die Erkenntnisse zurückgegriffen werden, die in dem vom Bund im Rahmen der modellhaften Erprobung nach Art. 25 Abs. 3 BTHG geförderten Modellprojekt des Landschaftsverbandes Rheinland gesammelt wurden.
§ 11
Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten nach den §§ 67 bis 69 SGB XII
Unter den Vereinbarungspartnern besteht Einigkeit darüber, dass es gemeinsame Aufgabe der Kooperationspartner ist, auf ein ausreichendes, vernetztes und koordiniertes Leistungsangebot hinzuwirken und geeignete Beratungsangebote zu finanzieren. Für die Hilfen zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten werden die bestehenden lokalen Planungs- und  Beratungsgremien genutzt, gegebenenfalls weiterentwickelt beziehungsweise erstmalig aufgebaut. Näheres regeln die Kooperationsvereinbarungen.
§ 12
Nachgehender Schutz der Einrichtungsorte
Die kommunalen Spitzenverbände und die Landschaftsverbände wirken auf eine gesetzliche Regelung hin, die eine unbegrenzte Kostenerstattungspflicht desjenigen Trägers der Sozialhilfe zum Inhalt hat, in dessen Bereich der Berechtigte vor Beginn der Maßnahme seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Der vorherige Aufenthalt in einer stationären oder teilstationären Einrichtung oder in einer besonderen Wohnform soll keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Sofern der gewöhnliche Aufenthalt nicht ermittelt werden kann oder Personen mit einem gewöhnlichen  Aufenthalt außerhalb von Nordrhein-Westfalen betroffen sind, sollen die Landschaftsverbände die anfallenden Kosten tragen. Dazu werden die Landschaftsverbände für Neufälle die notwendigen Daten zur Verfügung stellen.
II.
Leistungen für Kinder und Jugendliche
§ 13
Leistungen zur Sozialen Teilhabe
(1) Die Vereinbarungspartner verständigen sich darauf, dass unter Berücksichtigung von § 4 SGB IX Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen nach Möglichkeit so geplant und  gestaltet werden, dass diese gemeinsam mit Kindern ohne Behinderungen betreut werden können. Ziel soll es sein, die Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen wohnortnah zu betreuen und nach Möglichkeit nicht von ihrem sozialen Umfeld zu trennen.
(2) Die Vereinbarungspartner wirken darauf hin, dass die leistungsberechtigten Kinder und Jugendlichen alters- und entwicklungsentsprechend an der Planung und Ausgestaltung der einzelnen Hilfe beteiligt werden.
(3) Es soll eine enge Zusammenarbeit aller in den jeweiligen Verfahren Beteiligten erfolgen. Es wird eine enge Kooperation zwischen der örtlichen und der überörtlichen Ebene angestrebt. Die Beteiligung des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe ist sicherzustellen. Insbesondere in den Kreisen mit mehr als einem öffentlichen Träger der Jugendhilfe sind hierzu Vereinbarungen mit diesen zu treffen. In diesem Zusammenhang ist der Blick gerade auch auf Übergange gerichtet, z.B. von der Tageseinrichtung für Kinder in die Schule und beim Übergang von Leistungen nach §
35a SGB VIII zu Leistungen nach dem SGB IX. Bei der Gewährung von Leistungen für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen ist eine enge und intensive Zusammenarbeit aller in den Verfahren Beteiligten anzustreben.
§ 14
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation
Im Sinne landeseinheitlicher Lebensverhältnisse soll der Auf- und Ausbau der Strukturen interdisziplinärer Frühförderung bedarfsgerecht vorangetrieben werden. Eine enge Abstimmung und Verzahnung der Leistungen der Frühförderung in den Einrichtungen und Angeboten der  Kindertagesbetreuung im Sinne des § 14 KiBiz ist dabei anzustreben.
§ 15
Leistungen zur Teilhabe an Bildung
Für die erforderliche Anleitung und Begleitung ist in geeigneten Fällen und unter Beachtung der Zumutbarkeit im Sinne des § 104 SGB IX auf die Erbringung von Leistungen an mehrere Leistungsberechtigte gemeinsam hinzuwirken (§ 112 Abs. 4 SGB IX). Hierbei finden bereits etablierte und bewährte Verfahren bei den Kreisen und kreisfreien Städten besondere Berücksichtigung.
§ 16
Leistungen der Hilfe zur Pflege
Für Leistungen an Kinder und Jugendliche gilt § 10 entsprechend.
§ 17
Bedarfsermittlung
Zur einheitlichen und bedarfsgerechten Leistungsgewährung für Kinder und Jugendliche mit Behinderungen wird ein einheitliches Bedarfsermittlungsinstrument (BEI_NRW_KiJu) durch die Landschaftsverbände verwendet, welches sich in seiner Struktur an BEI_NRW orientiert und die Besonderheiten der physiologischen, psychischen und psychosozialen Entwicklung und die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen in den Blick nimmt.
D.
Schlussbestimmungen
§ 18
Verfahren zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung
(1) Die Kommunalen Spitzenverbände wirken darauf hin, dass ihre Mitgliedskörperschaften die für die Umsetzung dieser Vereinbarung notwendigen Beiträge leisten.
(2) Die Vereinbarungspartner erörtern mindestens einmal jährlich den Stand der Umsetzung dieser Vereinbarung im Rahmen der Vorbereitung der Arbeitsgemeinschaften nach § 6 AG-SGB IX und § 2a Abs. 2 AG-SGB XII. Auf den gesammelten Informationen basierend unterrichten sie gemeinsam beginnend mit dem Jahr 2021 alle drei Jahre das zuständige Ministerium über den Stand der Zusammenarbeit und der Kooperationsvereinbarungen.
(3) Bei wesentlichen Abweichungen von den Zielen dieser Rahmenvereinbarung werden
die Gründe für die Abweichungen gemeinsam analysiert und wird auf eine einvernehmliche Anpassung ihres Inhaltes hingewirkt.
§ 19
Inkrafttreten
(1) Die Rahmenvereinbarung tritt am 1. Januar 2020 in Kraft.
(2) Diese Vereinbarung gilt zunächst für fünf Jahre, gerechnet vom Ende des Jahres ihres Inkrafttretens. Sie wird jeweils um ein weiteres Jahr verlängert, wenn sie nicht von den Vereinbarungspartnern mit einer Frist von drei Monaten zum Jahresende der laufenden  Gültigkeitsperiode schriftlich gekündigt wird. Im Falle der Kündigung ist zeitnah eine neue Rahmenvereinbarung zu verhandeln.

Köln, im Juli 2019
Landschaftsverband Westfalen-Lippe Landschaftsverband Rheinland
23.07.2019
X
Matthias Löb
LWL-Direktor
23.07.2019
X
Ulrike Lubek
LVR-Direktorin
Landkreistag NRW Städtetag NRW
23.07.2019
X
Dr. Martin Klein
Hauptgeschäftsführer
23.07.2019
X
Verena Göppert
Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers
Städte- und Gemeindebund NRW
23.07.2019
X
Dr. Bernd Jürgen Schneider
Hauptgeschäftsführer
Anlage
Muster für die Kooperationsvereinbarungen